„Man sollte wieder die kleinen Dinge im Leben zu schätzen wissen“
Die Welt steht still. So auch der Fußball. In den letzten zwei Wochen ist durch die bekannten Umstände unheimlich viel passiert. Auch für die Spieler unserer 1. Mannschaft hat sich somit der Alltag grundlegend geändert. Die gesamte Mannschaft befindet sich aktuell zuhause und hält sich individuell fit.
Im Sommer 2017 wechselte Patrick Lienhard von der Eintracht aus Trier zum FCH. Nach der Oberligameisterschaft und dem 3. Platz im Folgejahr in der Regionalliga Südwest, befindet sich der Mittelfeldspieler nun in seiner dritten Saison mit den Grün-Weißen. Der Mittelfeldstratege gehört mit 17 Toren in 73 Spielen zu den absoluten Dauerbrennern der Mannschaft. In einem Telefon-Interview haben wir mit dem 27-Jährigen über die rasante Entwicklung der letzten Tage, den Umgang mit seiner Verletzung und der „neuen“ Vorgehensweise in seinem veränderten Alltag gesprochen.
Hallo Patrick, wir erleben momentan nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine absolute Ausnahmesituation. Der Fußball ist zur Nebensache geworden und wird es voraussichtlich erst einmal bleiben. Was sind aktuell deine ersten Gedanken, wenn du morgens aufwachst?
Es ist schon schwer, einen geregelten Tagesablauf hinzubekommen. Morgens lese ich mir erst einmal die Nachrichten durch, auch bezüglich der Krise und der aktuellen Lage. Man versucht sich seinen Tag selbstständig etwas durchzustrukturieren, indem man sich vornimmt, was man heute trainiert und wo – also draußen oder drinnen. Bei mir kommt noch der Trainerschein dazu. Vom Saarländischen Fußballverband bekommen wir Aufgaben, mit denen man knapp zwei Stunden täglich beschäftigt ist. Der Schwerpunkt vom Fußball-Alltag wird allerdings auf die politischen bzw. sozialen Neuigkeiten verschoben.
Normalerweise wohnst du wie einige deiner Mannschaftskollegen in dem als Risikogebiet deklarierten Teil von Frankreich. Wie hast du vor zwei Wochen reagiert und was waren deine ersten Schritte?
Am Freitag, den 13. März, haben wir die Nachricht erhalten, dass das Training und auch das Spiel gegen Kickers Offenbach ausfallen. Die Überraschung war zunächst einmal sehr groß, dass so schnell gehandelt wurde. Trotzdem hatte es sich irgendwo angebahnt. Danach ging alles ziemlich schnell: Ich habe circa eine Stunde überlegt, was ich jetzt machen soll und mich dann dazu entschieden, fürs erste Frankreich zu verlassen. Ich bin dann zu meiner Familie Richtung Berghaupten bei Offenburg gefahren. Die Idee war, das Wochenende zunächst einmal dort zu verbringen und abzuwarten, wie es sich die nächsten Tage entwickelt. Allerdings habe ich schon befürchtet, dass es zu einer längeren Pause kommen wird. Im Nachhinein war es die richtige Entscheidung, in meine Heimat zu fahren, in eine bekannte Umgebung. Vor allem, weil danach die Situation in Frankreich immer schwieriger wurde.
Es kommt nicht allzu häufig im Leben eines Profifußballers vor, dass man während einer Saison viel Zeit mit der Familie zuhause verbringen kann. Knapp 200 Kilometer trennen deine Heimat und Homburg voneinander. Hilft es besonders in solchen Tagen auf den familiären Rückhalt zurückgreifen zu können?
Mir tut es auf jeden Fall sehr gut zuhause zu sein – gerade jetzt in dieser Situation. In den letzten Jahren habe ich meine Familie nicht so oft gesehen, außer in der freien Zeit. Deshalb lernt man es zu schätzen bei der Familie zu sein und hat auch mal Zeit für längere, intensivere Gespräche. Wir leben relativ ländlich, sodass ich mich ums Haus herum viel bewegen kann. Man kann in aller Ruhe Sport machen und es gibt viele schöne Lauf- und Fahrradstrecken. Also alles in allem eine gute Kombination. Ich fühle mich hier sehr wohl und versuche den Umständen entsprechend die Zeit so gut es geht zu nutzen.
Du hast dich mit 23 Jahren dazu entschlossen, in deiner fußballfreien Zeit auf ein Fernstudium der Betriebswirtschaftslehre zu fokussieren. Wie hat das Zusammenspiel zwischen Studium und Fußball bis jetzt funktioniert?
Ich war schon immer so bestrebt und habe das auch von zuhause aus so gelernt, dass man neben dem Fußball zusätzlich was machen sollte. Die Koordination war nicht immer einfach. Zu Beginn habe ich an einer Fachhochschule studiert. Nach meinem Wechsel 2014 zu Jahn Regensburg war das Zusammenspiel zwischen Vorlesungen und Fußball unter Profibedingungen nicht mehr zu vereinen. Während dem Jahr in Regensburg, das auch durch zwei längere Verletzungspausen nicht immer einfach war, ist mir bewusst geworden, dass ich was „nebenher“ machen muss. Ich bin dann glücklicherweise auf ein Fernstudium umgestiegen. Das hatte zwei Vorteile – zum einen war das mit dem Fußball so besser zu kombinieren und zum anderen war die Flexibilität gegeben, egal wo man spielt, jederzeit weiterstudieren zu können. Das hat auch bisher ganz gut funktioniert. Meine Klausuren konnte ich alle ohne Probleme schreiben. Es ist zwar stressig, wenn gerade in den Prüfungsphasen viel gelernt werden muss, sodass das Privatleben auch mal mehrere Wochen still steht. Aber im Endeffekt lernt man die ruhigeren Phasen, die man dann mal ab und an hat, zu schätzen.
Hast du dahingehend bereits Vorstellungen, wie die ersten Schritte nach deiner Fußball-Laufbahn aussehen könnten oder in welchem Bereich du dich persönlich siehst?
Ja, ich habe mir dazu schon einige Gedanken gemacht, das stimmt. Aber es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch schwer einzuschätzen, in welche Richtung es letztendlich gehen wird. Mein Ziel ist es erstmal, mich sehr breit aufzustellen – deswegen auch mein Studium in den Wirtschaftswissenschaften. Mit einigen Jungs aus der Mannschaft absolviere ich aktuell den Trainerschein und würde gern mit dem Fußball verbunden bleiben. Die Zeit beim SC Freiburg hat mich sehr geprägt. Zu dem ein oder anderen von damals habe ich auch noch Kontakt. Wenn der Tag X irgendwann mal eintritt und ich keinen Fußball mehr spielen kann oder möchte, dann schaue ich, welche Möglichkeiten sich ergeben. Ich würde gerne Einblicke im sportlichen, sowie auch im wirtschaftlichen Bereich sammeln. Dann könnte man sich zu einem gewissen Zeitpunkt spezifizieren, wenn man sich sicher ist. Letztendlich ist alles offen und ich kann mir vieles vorstellen – egal ob in einem ambitionierten Unternehmen oder doch in einem Fußballverein.
Widmen wir uns noch kurz dem Fußball. Du befindest dich in deiner dritten Saison mit dem FCH und hast deinen Vertrag erst im Januar um zwei weitere Jahre bis 1.7.2022 verlängert. Was waren für dich die ausschlaggebenden Kriterien, dass du bei uns bleibst?
Grundsätzlich hatte ich bisher eine sehr erfolgreiche Zeit in Homburg. Ich sehe in dem Verein auch weiterhin großes Potenzial, dass wir noch einiges erreichen können. Ich hatte gute Gespräche mit den Verantwortlichen. Was mir im Endeffekt gut getan bzw. gefallen hat, war die Unterstützung während meiner Verletzung. Es wurde relativ zeitnah mit mir gesprochen und ich kann mich einfach mit den Zielen des Vereins identifizieren. Meine komplette Energie und meinen maximalen Beitrag möchte ich in den Erfolg des Vereins stecken.
Im November letzten Jahres hast du dir eine Sprunggelenksverletzung zugezogen. Deine ersten Trainingseinheiten gemeinsam mit der Mannschaft wurden vor 3 Wochen absolviert. Ärgert man sich, dass es erstmal nicht weitergeht, wo man doch so kurz davor war oder siehst du es eher gelassen, dass du deinem lädierten Fuß noch mehr Zeit geben kannst?
Klar ärgert mich das schon ein bisschen. Ich habe gerade wieder gestartet, konnte mit der Mannschaft trainieren und zum Teil vollständige Einheiten mit absolvieren. Von daher würde ich gerne so schnell es geht wieder auf dem Platz stehen. Deshalb versuche ich jetzt einfach die Zeit optimal zu nutzen. Die Mischung aus Belastung und Regeneration muss einfach passen, sodass sich der Fuß wieder an die normale Trainingsintensität gewöhnen kann.
Die Fußballwelt ist in den letzten Jahren explodiert. TV-Gelder, Ablösesummen, Spielergehälter, Investoren, 50+1, Salary-Cap, … nahezu alles steht auf dem Prüfstand. Wie siehst du die Entwicklung des Fußballs der letzten 10-15 Jahre?
Definitiv, die Entwicklung ist enorm. Es wird immer viel darüber gesprochen, allerdings nie wirklich etwas dagegen unternommen. Ich verfolge die Fußballwelt jetzt auch schon seit einigen Jahren und stelle mir häufiger die Frage, wann der große Knall kommt. Ich stehe der Entwicklung vor allem aus ethischer Sicht kritisch gegenüber. Spieler werden für über 200 Millionen Euro transferiert und etliche Fußballer beziehen Millionengehälter. Gleichzeitig haben in anderen Ländern viele Menschen nichts mehr zu essen. Da muss man schon mal alles hinterfragen, wann es denn mal gut ist. Auf der anderen Seite weiß ich, dass es wirtschaftlich auch nicht immer so einfach ist, das alles umzusetzen, weil das wiederum andere negative Effekte hätte. Grundsätzlich bin ich dafür, dass gewisse Werte wieder verinnerlicht werden oder zumindest mehr Bedeutung bekommen.
Könntest du dir ein Spiel vor leeren Zuschauerrängen ohne Fans vorstellen?
Ich bin gespannt, ob es so kommen wird. Aber ich glaube, es gibt momentan nicht viele Alternativen, wenn man weiterspielen möchte. Es wäre auf jeden Fall sehr ungewohnt, wenn es so wäre wie beim Training, ganz still. Sollte es tatsächlich keine andere Option geben, dann ist mir das Spielen vor leeren Zuschauerrängen lieber, als dass gar nicht mehr gespielt würde. Dann sollte man andere Kommunikationsmittel finden und es über Internet oder Fernsehen übertragen, um somit die Vereine auch wieder etwas zu entlasten. In dieser besonderen Ausnahmesituation muss man einen Mittelweg finden, der den Umständen entsprechend angepasst wird.
Die Ungewissheit macht dem Menschen bekanntlich am meisten Angst. Was stimmt dich zuversichtlich in dieser Zeit? Kannst du persönlich etwas für dich mitnehmen?
Ich bin ein Optimist. Momentan ist es schwierig und der Zustand ist alles andere als normal. Die Ungewissheit ist etwas, was sicherlich gerade jeden beschäftigt. Auch bei uns weiß man nicht, wann wir wieder spielen. Trotz allem muss man zumindest versuchen, das Positive zu sehen. Wir sind in Deutschland sehr, sehr gut aufgestellt – sowohl wirtschaftlich als auch vom Gesundheitssystem, sodass zunächst einmal die erkrankten Leute in guten Händen sind und optimal behandelt werden können. Das steht für mich im Vordergrund. Der Staat hat in den letzten Jahren sehr gut gewirtschaftet und wenn man den Politikern Vertrauen schenkt, können die Ausfälle hoffentlich erst einmal gut kompensiert werden. Ich hoffe, dass dass nicht nur Theorie bleibt, sondern dass das Versprechen auch in der Praxis umgesetzt und somit den Menschen geholfen wird. Wenn man die Krise gemeinsam überstanden hat, sollte sich bestenfalls auch das Bewusstsein von einigen Menschen verändert haben – insofern, dass es uns doch eigentlich ganz gut geht und Gesundheit das Wichtigste ist. Man sollte wieder die kleinen Dinge im Leben zu schätzen wissen.
Patrick, vielen Dank für die privaten Einblicke. Dir und deiner Familie weiterhin nur das Beste, bleibt gesund und hoffentlich bis bald!
Quelle: Homepage FC 08 Homburg